Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, kurz ADHS, ist in unserer heutigen Gesellschaft eine weit verbreitete oder zumindest häufig diagnostizierte Krankheit, die insbesondere bei Kindern auftritt. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ADHS bei Ärzten, Pharmakonzernen und Eltern zu einer regelrechten „beliebten Modekrankheit“ entwickelt. Immer mehr Kinder scheinen hiervon betroffen zu sein, was zu einer erheblichen Medikamentennachfrage und entsprechender Verabreichung in bereits sehr jungen Jahren geführt hat.

Der Psychiater Leon Eisenberg stellte die in seinen Augen mittlerweile viel zu schnell und viel zu häufig diagnostizierte Erkrankung kritisch und öffentlich in Frage (siehe Beitrag ADHS gibt es nicht).

Hierbei löste er eine hitzige und angeregte Debatte in der Gesellschaft aus. Eisenberg selbst war es, der in den sechziger Jahren dazu beitrug, hippeliges auffällig aktives Verhalten von Kindern als eine psychische Erkrankung zu deklarieren. Mit seinen öffentlich kundgegebenen Zweifeln erregte Eisenberg große Aufruhr.

Betrachtet man die Zahl der an ADHS erkrankten oder besser diagnostizierten Kinder heute, so bietet sich einem ein nahezu unheimliches Bild. Im Jahre 1990 wurden etwa 600.000 Kinder als an ADHS leidend erklärt und entsprechend medikamentös behandelt. Nur vergleichsweise wenige Jahre später stieg die Zahl der ADHS-Erkrankungen bereits auf rund 3,5 Mio. an. Diese Zahlen sind in jedem Falle eines – erschreckend. Es ist, als würde sich ADHS epedemieartig verbreiten, obwohl es sich in der Realität keinesfalls um eine ansteckende oder übertragbare Krankheit, sondern vielmehr um eine psychische Störung des Nervensystems der Betroffenen handeln soll.

Das hierbei am häufigsten verabreichte Medikament „Ritalin“, das erkrankte Kinder ruhigstellen und ihre Hyperaktivität unter Kontrolle bringen soll, wird heute jedoch scharf kritisiert. Wissenschaftler, Ärzte und auch Krankenkassen sehen dem rasanten Anstieg der ADHS-Diagnosen mit großen Bedenken entgegen. Von allen Seiten hagelt es letztlich massive Kritik. ADHS sei eine erfundene Krankheit, mit dessen Diagnose es Eltern schlichtweg einfacher gemacht werden soll, die völlig natürliche Energie und Neugier ihrer Kinder zu unterdrücken und ruhig zu stellen, anstatt sich aktiv mit der
Thematik auseinanderzusetzen und sich mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder zu beschäftigen. Ritalin, so heißt es heute, sei lediglich eine Pille gegen eine frei erfundene Krankheit, dessen Zweck es sei, möglichst viel Geld in die Pharmaindustrie zu pumpen. Ärzte und Experten sind der Meinung, dass wir selbst Gefahr laufen, uns eine eigene ADHS-Generation heranzuzüchten, wenn wir nicht endlich einsehen, dass etwaige Pillen bei der Kindererziehung grundsätzlich ein völlig falsches Mittel darstellen.

Durch die stetig lauter werdenden Stimmen, die sich ganz eindeutig gegen die voranschreitenden ADHS-Diagnose und teils sogar gegen die Existenz einer solchen Erkrankung aussprechen, könnte der riesige Hype nun endlich beendet werden

Oder: Irre – wir behandeln die Falschen?

Es klingt im ersten Moment wie eine gewagte These, die Peter Gøtzsche, Direktor einer renommierten Kopenhagener Klinik, in dem Raum stellt.

Doch je näher man sich damit befasst, desto eher kommen Zweifel an der Art und Weise, wie auch hierzulande psychisch kranke Menschen behandelt werden.

Könnte es sein, dass wir die Falschen behandeln, dass solche seelisch kranken Menschen gar kein Problem mit dem Gehirnstoffwechsel haben, dass die so oft bemühte Insulin-Analogie an den Haaren herbei gezogen ist?

Die landläufige und auch unter vielen Ärzten vorherrschende Meinung ist ja, dass psychisch Kranken bestimmte Botenstoffe im Gehirn fehlen. Vergleichbar mit einem Diabetiker, dessen Körper nicht genügend Insulin produziert. Viele Ärzte etwa sind der Auffassung, dass es Depressiven an Serotonin fehlt. Bis dato konnte diese Annahme nicht nachgewiesen werden. Stattdessen stellt sich die Frage, warum es dann wirksame Medikamente gegen Depressionen gibt, die den Serotoninspiegel senken anstatt ihn zu erhöhen …

Werden den als depressiv abgestempelten Menschen dann Psychopharmaka verordnet, beginnt oft ein Teufelskreis, aus dem es nicht leicht ist auszubrechen. Denn wenn wir eine psychische Erkrankung mit einer künstlichen Droge behandeln, entsteht zwangsläufig ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn, auch wenn vorher keines vorhanden war. Die Sucht nimmt ihren Lauf. Vergleichen lässt sich das Ganze mit einem Alkoholiker: Wenn er aufhört zu trinken, fehlt dem Gehirn etwas und es meldet Entzug. Hier käme niemand auf die Idee zu behaupten, dass dem Alkoholiker der Alkohol schon gefehlt hat, bevor er mit dem Trinken begonnen hat. Was passiert aber, wenn es einem psychisch kranken Patienten schlechter geht, sobald er die Medikamente absetzen will? Dann nimmt man das wie selbstverständlich als Beweis her, dass er wirklich krank ist und die Medikamente dringt benötigt – anstatt anzuerkennen, dass Psychopharmaka genauso süchtig machen können wie Alkohol!

Krank aufgrund der Nebenwirkungen?

Für Gøtzsche ist die Sache klar: Das Gros der Psychiater ist nicht in der Lage, sinnvoll mit Psychopharmaka umzugehen und schadet den Patienten letztlich mehr als ihnen zu helfen. Doch weit gefehlt, denn Antidepressiva haben zum Teil erhebliche Nebenwirkungen! Bei jungen Menschen erhöhen sie sogar das Selbstmordrisiko! So kommt es, dass vorübergehende seelische Probleme zu einer Krankheit hochstilisiert werden und schließlich tatsächlich zu chronischen Krankheiten werden. Zum Beispiel hat man herausgefunden, dass Kinder, die mit ADHS-Medikamenten behandelt wurden, 35-mal häufiger an einer bipolaren Störung erkranken als es ohne Behandlung der Fall wäre. Diese Krankheit wiederum wird mit noch härteren Antidepressiva behandelt. Viele Patienten können folglich nie wieder arbeiten gehen und kein normales Leben mehr führen. Psychopharmaka – und nicht die Krankheit an sich – haben ihr Leben verpfuscht.

Psychopharmaka sollten daher, wenn überhaupt, nur kurzzeitig und nur bei schwerwiegenden psychischen Störungen eingesetzt werden. In vielen Fällen mögen eine Auszeit vom Alltag und/oder eine Gesprächstherapie völlig ausreichend sein.