UN-Sonderberichterstatter: Verbot von Zwangsbehandlungen – und wie die „Mainstream-Psychiatrie“ reagiert
Im Januar 2020 veröffentlichte Niall McLaren in madinamerica.com einen lesenswerten Bericht, hier gleich der Link zum Original: https://www.madinamerica.com/2020/01/ready-fire-aim-mainstream-psychiatry-reacts-special-rapporteur/
McLaren ist seit gut 25 Jahren australischer Psychiater. Eigentlich wollte er gern die philosophischen Grundlagen der Psychiatrie erforschen, doch merkte er bald, dass es die gar nicht gibt, was ihn unter seinen Fachkollegen nicht gerade Beliebtheit einspielte.
Der UNO-Menschenrechtsrat ist es schon gewohnt, ein beliebtes Ziel von Kritikern zu sein. Zur Untersuchung der unterschiedlichsten Fragen der Menschenrechte werden extra Sonderberichterstatter in die Welt ausgesandt. Unterschieden wird dabei nach Themen wie Kinder- und Frauenrechte, Folter, Armut, Sklaverei, Gesundheit, außergerichtliche Tötungen und so weiter. Dabei nimmt die psychische Gesundheit sogar einen besonderen Platz ein.
Vor Kurzem sind gleich zwei Berichte jenes Sonderberichterstatters erschienen, der für das „Recht aller Menschen auf bestmögliche körperliche und seelische Gesundheit“ zuständig ist. Endlich wurden darin mal die Mängel der regulären, institutionellen Psychiatrie ins Rampenlicht gestellt, hier gleich der Link zur deutschen Übersetzung:
https://www.dgsp-ev.de/fileadmin/user_files/dgsp/pdfs/Publikationen/UN-Report_Puras_%C3%9Cbersetzung_DGSP_2017.pdf
Gerade wegen der darin zum Ausdruck gebrachten Kritik überrascht es durchaus, dass der gegenwärtige Sonderberichterstatter für psychische Gesundheit Prof. Dainius Pūras selbst ein angesehener litauischer Kinder- und Jugendpsychiater sowie Epidemiologe ist. Dennoch haben ihn andere etablierte Psychiater sogleich als Mitglied einer „globalen Anti-Psychiatrie-Bewegung“ diffamiert.
In der Zeitschrift Lancet Psychiatry erschien dazu kürzlich ein Artikel von Ian Hickie, einem sehr einflussreichen Psychiater in Australien. Er bewertete die Berichte als unausgewogen, schlecht durchdacht und historisch ungenau, meinte darin zu viel antimedizinische und antiklinische Rhetorik zu lesen, weil der Sonderberichterstatter vehement psychotrope Medikamente angegriffen habe.
Hickie argumentiert allerdings etwas ins Leere, weil ihm möglicherweise bestimmte Zusammenhänge gar nicht klar sind. Tatsache ist nämlich, dass große psychiatrische Kliniken aus der viktorianischen Zeit schon Anfang der 1950er-Jahre geschlossen wurden, noch bevor die ersten Psychopharmaka überhaupt auf den Markt kamen. Werfen wir dazu mal einen Blick in den Bericht des Sonderberichterstatters:
Vertrauen ist die wichtigste Grundlage jeder therapeutischen Beziehung. Doch es wurde immer wieder durch Zwangsmaßnahmen und paternalistische Praktiken zersetzt. Menschen, die in einer psychiatrischen Klinik des Bundesstaates Queensland „inhaftiert“ sind, haben deutlich weniger Rechte als Gefangene dieses Bundesstaates, nämlich gar keine. Die meisten Menschen, die in Queensland den „Mental Health Review Tribunals“ vorgeführt werden, haben keinen Rechtsbeistand.
Trotzdem werden sie in einem „quasi-richterlichen“ Verfahren auf der Grundlage von unbeeidigten „Hörensagenbeweisen“ inhaftiert und kommen dann sogleich in Isolation, wo sie zu Boden gerungen werden, um ihnen etwas zu injizieren. Das kann der Psychiater so lange so anordnen, wie er will. Eine derartige Fallbeschreibung findet man zum Beispiel hier: https://www.madinamerica.com/2016/05/psychiatry_garth_daniels/
Die reguläre Psychiatrie geht heute ganz einfach davon aus: Wenn das biomedizinische Modell bei einer Person nicht funktioniert, dann braucht diese offensichtlich mehr von dem Zeug. Die gegenwärtige Politik im Bereich psychische Gesundheit wird nach wie vor vom biomedizinischen Modell dominiert, wobei eine beachtliche Asymmetrie von Macht und Vorurteilen zu verzeichnen ist.
Dieses Modell hat zur übermäßigen Anwendung von Zwang geführt, der folgerichtig in kognitiven, intellektuellen und psychosozialen Behinderungen gipfelt. Das Schlimme daran ist, dass ganz normale Reaktionen auf Belastungen des Lebens wie Schüchternheit, soziale Ängste, Schulschwänzen, Traurigkeit oder unsoziales Verhalten stets eine Spirale medikamentöser Überdosierung in Gang setzen.
Junge Psychiater, die Karriere machen möchten, sind geradezu dazu gezwungen, eine neue Krankheit zu erfinden, vorzugsweise eine, bei der massiv ein neu entwickeltes Medikament eingesetzt und am Menschen getestet werden kann.
Psychiater verdienen ihren Lebensunterhalt damit, Diagnosen zu stellen, die Menschen als gefährlich abstempeln. Die Zwangsbehandlung psychischer Störungen muss immer Vorrang haben vor dem verbrieften Recht auf Freiheit, so der Duktus der Psychiater, der auf alle Politiker dieser Welt erfolgreich ausgegossen wurde.
Bedauerlicherweise ist die Psychiatrie selbst eine Quelle der Gewalt, der Stigmatisierung und der Hilflosigkeit. Die übermäßige Verabreichung von Psychopharmaka ist gerade für Kinder sehr schädlich. Der Sonderberichterstatter weiß sehr wohl, dass Depressionen immer ein Risikofaktor für suizidales Verhalten sind, ist aber besorgt über das globale Ausmaß von Verordnungen von Medikamenten gegen Burn-out & Co..
Fazit
Hickie und all die anderen gut etablierten Psychiater, die um ihre Pfründe durch die Kritik des Berichterstatters fürchten, haben Dainius Pūras klar zu verstehen gegeben, dass sie juristisch gegen ihn vorgehen werden, falls er ihr so gut funktionierendes Konzept von Beherrschung und Kontrolle nicht in Gänze unterstützt.
Dies ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass gegenteilige Äußerungen ihre große Macht und ihre angenehmen Privilegien zu Fall bringen könnten, da sie ja wissen, dass das alles auf einer grundfalschen Prämisse beruht, nämlich darauf, dass alle psychischen Störungen grundsätzlich biomedizinisch behandelt werden können und müssen.
Tatsächlich sind die heute maßgebenden Meinungsführer in der modernen Mainstream-Psychiatrie, allen voran Ian Hickie, keine klinischen Neurowissenschaftler, so, wie einige es von sich behaupten. Fähige Manipulatoren von politischen Prozessen sind sie indes schon und nur so können sie sich auch in der Öffentlichkeit prahlerisch zur Schau stellen und zugleich Unsummen dabei verdienen.
Fakt ist, dass diese Leute viel mehr Zeit damit verbringen, mit Politikern und Sponsoren zu telefonieren, als sich fachlich mit psychischen Störungen oder gar mit Menschenrechten auseinanderzusetzen. Genau so agieren eben Menschen an der Spitze von asymmetrischen Machthierarchien.
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